Spitzen Geschichte: Abenteuertrainingslager
auf der Insel Fehmarn
Ich würde ihn am liebsten anschreien
So habe ich das Meer noch nie gesehen. Fast ist´s, als liefe ich
vor einem Stilleben, wie es der Maler erschaffen haben könnte, der
einstmals da vorne am Leuchtturm wohnte. Der Wind schweigt. Eine starre
Scheibe ist die See. Kein Schiff, nicht der kleinste Kutter schneidet
seinen Rumpf ins glasige Hellblau hinein. Milchig gelb durchsticht der
Ball der Sonne den Dunst, der das gegenüberliegende Festland versteckt.
Nahe beim hohen Ufer färben Algen violette Punkte hinein ins Glasblau
der unbewegten See. Ich bin alleine auf der kleinen Klippe. Nur ein paar
Seevögel, die hin und wieder aufflattern, bringen Leben ins ruhige
Bild, und meine Schritte.
Allerdings höre ich mich nicht laufen, denn der grasige Untergrund
dämpft meinen Schritt. Ich spüre mich auch nicht laufen, weil
ich abgelenkt bin von der Schönheit der Natur. Mir ist es, als würde
ich gelaufen. Eigentlich müßten da Schmerzen sein, denn harte,
windige Stunden war ich in den Vortagen auf dem Fahrrad unterwegs. Aber
ich spüre sie nicht. So vieles geht einfacher vor einer Prachtkulisse.
Einen Wanderer, Träumer, Läufer und Triathleten muß ich
auf meinen Frühjahresreisen unter einen Hut bringen. Der Wanderer,
der als seine Wege zu einem Netz auf der Landkarte vereinen will, hat
als Ziel die Insel Fehmarn gewählt. Ein Strang dieses Netzes reicht
bis ins gegenüberliegende Heiligenhafen. Drum radlte ich am ersten
Tag über die Brücke nach Heiligenhafen (abends folgte der erste
Stundenlauf, noch etwas unmotiviert, weil ich reisemüde war).
Am zweiten Tag erkämpfte ich auf dem Rad dem Wanderer in mir den
Küstenstreifen bis hinauf nach Kiel. Nun muß der Läufer
und Triathlet zu seinem Recht kommen. Meine Art der Vorbereitung auf den
Saisonhöhepunkt (Langdistanz in Roth) geht so: 1 Stunde Mountainbiken,
Rad abschließen, eine Kleinigkeit essen und trinken, 1 Stunde Lauf,
wieder eine Rad usw. Jeden Tag varierte ich anders, z.B halbstündlicher
Wechsel oder zweistündlicher Wechsel. Sechs Stunden täglich
trieb ich das. Im letzten Jahr hatte ich ähnliches auf Zingst und
Darß getan und später in Roth gespürt, so ein Trainigslager
im kalten Wind macht Sinn (Spaß macht es auch).
Der Wind lebt wieder auf die letzten fünf Tage. Ein gewaltiges Machtwort
spricht er mit mir. Kommt er von hinten, zwingt seine Stärke mich
manchmal tatsächlich, einen Schritt schneller zu springen als mir
lieb ist (ich bin kein Floh 88 Kilo bei 1,90 Größe). Laufe
ich ihm entgegen, komme ich mir manchmal vor wie auf dem Laufband, ständige
Anstrengung ohne erkennbaren Fortschritt. Am Anfang friert es mich brutal
im Wind. Ich würde ihn am liebsten angeschrien (Scheißkerl
hör auf!) oder ihn abgedrehen, stünde dies in meiner Macht.
Es steht aber nicht in meiner Macht und es tut mir Menschen gut, das wieder
einmal körperlich zu begreifen. Ich muß den Wind annehmen als
Aufgabe, muß mich ihm ein bißchen hingeben. Siehe, ich komme
zurecht! Ich kann laufen und radeln im schweren Wind der Ostsee und bald
ist mir nicht mehr kalt.
Mit meiner Radel- Lauf Methode kann ich die windbestrichene Insel Fehmarn
mit ihrem guten Radwegnetz in einer guten Woche in all ihren Winkeln betrachten.
Meist benütze ich die Radeinheiten zum Transfer durchs Innere des
Eilands, um mir fürs Laufen die Landschaftlichen Sahnestückchen
zu suchen, die (siehe oben) an den Ufern liegen. Allerdings macht der
Wind mein bald vertrautes Fehmarn immer wieder zu einer anderen, rätselhaften
Größe. Manchmal radle ich zwei Stunden an einem Teilstück,
für das ich höchstens eine halbe eingeplant hatte. Der Radweg
Rund um Fehmarn hat übrigends ungefähr siebzig Kilometer, so
viel zur Dimension der Insel. Im Gegensatz zum Schleswig Holsteinischen
Festland an der Ostsee hat Fehmarn nur sehr wenig Steigungen. Warst du
einmal allein mit dem Meer, auf einer Insel, die zu dieser Jahreszeit
noch kaum Touristen trägt? Hast du ein bißchen von der Hoffnung
des Einsamen gespürt, die der ferne Leuchturm dem Seemann macht?
Dann wirst du begreifen, das Abenteuer beginnt schon weit jenseits von
Kanada.
Die Insel Fehmarn ist durchstossen von einer Fernstraße, die das
Festland mit dem Fährhafen Puttgarden verbindet, wo halbstündlich
Verbindung zur dänischen Stadt Rodby (mit durchgestrichenem o, bringt
mein Computer nicht) auf der Insel Lolland besteht. Der Bau einer Golden
Gate- artigen Brücke ist erwogen. Abseits der Straße
hat die Bauerninsel ihren idyllischen Charakter bis heute
bewahren können. Am Ufer pflegt man ursprüngliche Schilf- und
Flachwasserzonen, wie sie sonst leider selten geworden sind in Schleswig-
Holstein. Es gibt große Vogelschutzgebiete. Insgesamt war Fehmarn
meiner Aufmerksamkeit und meiner Urlaubszeit mehr als würdig. Daß
solch ein Trainingslager im rauen Wind Sinn machen kann, gehört
zu den schönsten der freudigen Erkenntnisse, die ich letzten Sommer
schon in Roth gewann. Ans warme Mittelmeer fliegen kann schließlich
jeder. Ich werde die kühle Ostsee lieben, solang der liebe Gott mich
läßt. Vielleicht bekommt nun auch ein anderer einmal Lust,
sein frühjahrstraining im rauen Wind zu absolvieren (könnt ich
die Seeluft mit nach Hause nehmen, bekäme ich nie mehr Husten).
Es ist ein Abenteuer - und es liegt so nah.
Marco Heinz |